Hochtour Grassen Südwand

Hochtour Grassen Südwand, 3.-4. September 2022

 

Leiter: Peter Stähli

Teilnehmer: Katja, Markus, Res, Simon, Paul

 

Samstag 3. September

Wieder einmal nehme ich nach dem Aufstehen als erstes das satte Rauschen eines Landregens wahr und einmal mehr frage ich mich: Was habe ich mir da eigentlich vorgenommen? Aber äs tuet uuf, wi geng …

Gegen 0930 treffen wir im Steingletscher ein und genehmigen uns eine Tasse Kaffee. Die Prognosen zeigen eher für den Nachmittag Regen, so dass wir uns entscheiden, hier noch eine kurze Mehrseillängenroute zu klettern. Mit Bergschuhen geht es im Klettergarten Steingletscher die etwas abgeschliffenen, gerundeten 3er- bis 4er-Routen hoch, so dass jede Seilschaft vier kurze Seillängen klettern kann. Auch ein Abseilen am 50-m-Doppelseil liegt noch drin.

Das Wetter erlaubt uns auch noch draussen zu picknicken. Anschliessend fahren wir über den Susten und lassen die Autos beim Parkplatz Sustli. Gemächlich steigen wir über den Leiternweg zur Sustlihütte hoch. Erstaunlicherweise hält das Wetter immer noch, so dass wir einen Versuch im Klettergarten Stöss wagen. Den Zustiegsweg werden wir morgen für die Südwand auch gehen.

Trocken kommen wir beim Stöss an, trocken seilen wir an, doch dann öffnet Petrus alle Schleusen. Blitzartig ist der Fels bachnass. Schon die ersten Schritte in den kleinen Zweiseillängenrouten, die wir klettern wollen, werden zur Rutschpartie. Und weiter oben sind Flechten, so dass dort nichts Besseres zu erwarten ist.

Also Abbruch der Übung und Rückmarsch bzw. Zurückschwimmen zur Hütte. Die Regenkleidung kommt zum Einsatz. Aus Weglein werden Bächlein. Selten so nass geworden… Gut hat Kari, der Hüttenwart, einen grossen Trocknungsraum, den er auch sogleich einheizt. Immerhin: Wir haben es versucht und die Mehrseillängen vom Vormittag, die grossen Spass gemacht haben, kann uns niemand mehr nehmen.

Ein wenig kitzelt es aber schon, dass kurz nach der Rückkehr zur Hütte wieder die Sonne lacht. Oder grinst sie bloss? Egal: Für heute haben wir genug vom Wetterlotto und widmen uns den Erfrischungsgetränken, die die Hütte zu bieten hat und die auch Spuren von Weizen enthalten können.

Angesichts der Wetterprognosen machen wir uns den Entscheid 'Südwand oder Normalroute' nicht leicht. Nach Konsultation diverser Wetterdienste und Beratung mit Hüttenwart Kari, der die lokalen Verhältnisse hervorragend kennt, entscheiden wir uns für die Südwand. Wir planen einen möglichst späten Start, denn in der Nacht wird es noch etwas regnen und die Sonne soll die Wand trocknen, bevor wir einsteigen. Preis dieser Taktik ist, dass mit Stau und Wartezeiten gerechnet werden muss, doch dies und eine späte Heimkehr nehmen wir in Kauf.

Nach einem ausgezeichneten Nachtessen sinken wir ins Bett, zufrieden mit dem ersten Tag und zuversichtlich für die Südwand.

 

Sonntag 4. September

Um 0600 erhalten wir unser Frühstück. Beim Klettergarten Stöss sehen wir schon die ersten Gruppen umherirren. Hektisch tasten die Lichtkegel der Stirnlampen das Gelände ab, auf der Suche nach dem richtigen Weg. Nun ja, wer der erste sein will um nassen Fels zu klettern, ist dort am richtigen Ort…

Wir starten um 0700, nach Tagesanbruch und bei trockenen Verhältnissen. Ungefähr auf 2400 m.ü.M. seilen wir an und montieren die Steigeisen. Der Gletscher ist völlig blank, das Eis aber so griffig, dass wir am kurzen Seil in Richtung Grassenjoch aufsteigen. Eine erste Herausforderung hält der Bergschrund bereit: Dieser ist nur noch über eine schmale Eislamelle zu überwinden. Um Pendelstürze bei Stolperern abzufangen setze ich hier zwei Eisschrauben, an einer dritten oberhalb des Schrundes werden dann die Nachsteiger gesichert. Kurz darauf sind wir im Grassenjoch.

Hier verhält es sich wie erwartet: 'Stau am Grassen, es muss mit längeren Wartezeiten gerechnet werden'. Offenbar hat eine der in der Wand hängenden Gruppen die Steigeisen montiert um bei Nässe bessern Halt zu haben. Dass das die Kletterei nicht beschleunigt ist klar. Wir machen sicher über eine halbe Stunde Zwangspause, bevor wir in die Wand einsteigen.

Die erste Seillänge erweist sich als anspruchsvoll: Die Sonne, die sich auch jetzt weniger als erhofft blicken lässt, vermochte den Felsen nicht zu trocknen. Aus dem 'Grassen' wird ein 'Nassen'. Entsprechend heikel ist die Kletterei auf dem flechtenbewachsenen Gestein. Die sportlichen Hakenabstände tragen das Ihre dazu bei. Mit einigen Friends lässt sich das Ganze aber entschärfen.

Ab der zweiten Seillänge ist der Fels trocken, schön rauh und die Sache beginnt richtig Spass zu machen. Nur leider hat eine (geführte!) Seilschaft weiter oben das Gefühl, eine andere Gruppe überholen zu müssen. Das kann man ja machen, habe ich dort auch schon gemacht. Nur sollte bei einer Route, die von links unten nach rechts oben verläuft, rechts oder zumindest auf der Route überholt werden. Sicher nicht links, denn dann sind die nachfolgenden Seilschaften direkt im Schussfeld allfälliger Steine. Und es kommt wie es kommen muss: Ein backsteingrosser Brocken löst sich, prallt mit lautem Knall einen Meter neben mir auf den Felsen und erwischt ein weiteres Mitglied unserer Gruppe noch am Rucksack. Den Knall höre ich noch die halbe Woche… Ein Riesenglück, dass nicht mehr passiert ist. Mit der Skizze, die sich in der Bildstrecke befindet, versuche ich die Situation noch besser zu illustrieren. Im grünen Bereich wäre die sichere Überholvariante, im roten Bereich die für nachfolgende Seilschaften sehr gefährliche. Aus meiner Sicht dürfte man beim Entscheid für ein Überholmanöver durchaus berücksichtigen, dass es neben der Route eher mehr lose Steine hat als auf der Route und ebenso, ob ein allfälliger Steinschlag direkt auf die Route oder nebendran fällt. Das wäre dann 'Rücksicht'.

Die dritte Seillänge ist einfacher, schön zu klettern und verläuft ohne Zwischenfälle. Nochmals holt uns der Stau am Grassen ein: Der Grat gleicht einem Affenfelsen im Zoo. Die erneute Zwangspause von ungefähr einer halben Stunde kommt aber nicht ganz ungelegen, um nach der Schrecksekunde in der Wand wieder auf Normaltemperatur zu kommen.

Der Grat bietet zwei abschnittsweise etwas steilere, gutgriffige Seillängen und anschliessend lohnendes Gelände zum Klettern und Gehen am gleitenden Seil. Die letzten Meter zum Gipfelkreuz gehen wir am kurzen Seil. Etwas nach 1300 Uhr sind wir oben. Angesichts der Warterei und der Verhältnisse eine akzeptable Zeit.

Vor dem Abstieg gönnen wir uns eine ausgiebige Gipfelrast. Der Abstieg verläuft dann auf guten Wegspuren, teils auch über den blanken Firnalpelifirn, über den ENE-Grat bis zum Stössensattel. Das Couloir westlich vom Sattel ist für eine Gruppe zu heikel, da dort zu viel Geröll auf zu viel Blankeis liegt.

Der Stössensattel hält noch eine Überraschung für uns bereit: Dank des Gletscherschwundes und der Schneeschmelze reicht das Fixseil nicht mehr bis auf den Gletscher. Es fehlen gut 2 Meter. Die geplante Taktik- Seilpartner wird abgelassen und Seilführer klettert ab - funktioniert somit nicht. Ich entschärfe das Problem mit einem Maillon rapide am untersten Sicherungspunkt und werde von dort auf den Gletscher abgelassen, die nachfolgenden beiden Seilschaften entscheiden sich fürs Abseilen. Da es besser ist, entlang des schräg verlaufenden Fixseils abzuseilen als gerade in der Falllinie (Steinschlag), erweist sich auch das als umständlich.

Nach dieser letzten Schlüsselstelle, die sehr viel Zeit kostet, verläuft der weitere Abstieg über den Stössenfirn und zur Hütte problemlos. Ungefähr um 1700 sind wir bei der Hütte. 'Lange Tour, gute Tour', lässt sich sagen. Wenn gleichzeitig mehrere erschwerende Faktoren zusammenkommen - Gruppe statt Zweierseilschaft, Verhältnisse am Schrund und in der Wand, Stau, Pausen und umständliches Ablassen / Abseilen - läuft es aber auch für eine routinierte Gruppe auf das hinaus.

Kari und Agi, die diesen Sommer ihre letzte Saison auf der Sustlihütte haben, erhalten noch ein kleines Präsent und grossen Dank für die immer ausgezeichnete Beratung und Gastfreundschaft. Nach einer ausgiebigen Stärkung nehmen wir Abschied von der Sustlihütte, vernichten die restliche Höhe bis zum Parkplatz und machen uns auf die Heimfahrt. Der angenehme Nebeneffekt der späten Rückkehr ist, dass die wunderschöne Susten-Passstrasse für einmal zügig und ohne Dichtestress befahren werden kann.

Glücklich und zufrieden mit der anspruchsvollen Tour, dankbar für den trotz Steinschlag unfallfreien Verlauf kommen wir zu Hause an.

 

Schluss und Dank

Allen Teilnehmenden meinen herzlichen Dank für das souveräne Mitmachen und den sportlichen Umgang mit den durchaus anspruchsvollen Verhältnissen! Gelände, Verhältnisse, Mensch: Dank Eurer Routine hat es auch diesmal gepasst.

 

Peter Stähli